Die Wilden 2002er
  Ratschlag 2
 



Lieber Papi,

es freut mich, dass Dein gebrochener Fuß gut verheilt ist. Ich merke, dass Du schon wieder

ganz der "Alte" bist, so wie Du Dich beim Training engagierst. Es hat mir wirklich leid

getan, dass Du Dich beim vorletzten Heimspiel so aufgeregt hast und deshalb so stark gegen

die Werbebande getreten hast, um dem Schiedsrichter Deine Meinung mitzuteilen, als

er mir eine gelbe Karte gegeben hat.

Aber Papi, warum musst du bei den Spielen auch immer so aufgeregt sein? Ich weiß, dass

Dich der Fußball jedes Jahr viel Zeit kostet, aber weißt Du was, ich habe schon in der letzten

Saison vergessen, Spaß am Fußball zu haben. Im November, als Du sauer auf unseren

Trainer warst, weil er mich nicht in jedem Spiel hat durchspielen lassen und Du Dich deshalb

auf dem Parkplatz mit ihm fast geprügelt hast, haben einige Spieler aufgehört mit mir

zu sprechen.

Dass du mich liebst und alles gut meinst, weiß ich auch. Es war aber schon sehr peinlich, als

Du Dich über die Werbebande gelehnt hast und mich vor der Mannschaft einen Verlierer

nanntest. Ein Spieler des Gegners hat damals zu mir gesagt, dass vielleicht Du spielen und

ich selbst auf der Tribüne zuschauen sollte. Nachher bei uns zu Hause habe ich aus Wut

nach unserer Katze getreten.

Oder dann das Spiel, wo Du mich während der ersten Halbzeit vom Platz geholt hast. Papi,

ich wollte wirklich nicht den Elfmeter verstolpern und hinfallen. Die anderen Spieler und der

Trainer haben es doch auch verstanden und es hat mir gut getan, als sie mir auf die Schulter

geklopft haben. Aber wenn ich auf dem Fußballplatz bin und Du mich anschreist, bekomme

ich immer Bauchweh, bin durcheinander und kann nicht mehr richtig denken. Alles

was ich dann will, ist weg!

Dass du viel Ahnung vom Fußball hast, weiß ich auch, denn Du hast ja in den 70er Jahren

die „Speldorfer Kloppers“ trainiert. Aber wenn Du mir was sagen willst, kannst Du dann

nicht warten bis wir zu Hause sind, um es mir dann in Ruhe bei einer Tasse Schokolade zu

erklären?

Mein Trainer hat gesagt, dass ich meine besten Spiele machte, als Du mit Deinem gebrochenen

Fuß im Krankenhaus gelegen hast. RICHTIG, ich freute mich auf diese Spiele, war

entspannt und ich habe nur den Klang der Rasseln unserer Mamis gehört.

Papi, ich weiß, Du willst, dass ich einmal Tore schieße wie Dein Idol Gerd Müller. Aber ich

fürchte, ich werde nicht so gut wie er. Ich will auch gar nicht wie jemand anderes sein, sondern

ich möchte nur ich selber sein. Ich weiß auch, dass Du, als Du in meinem Alter warst,

fünf Kilometer weit durch Schnee und Eis zur Schule laufen musstest, mit Löchern in den

Schuhen und mit gefrorenen Zehen gespielt hast, alte Kataloge als Schienbeinschoner benutzt

hast und so weiter und so weiter...

Du erwartest von mir, dass ich genauso tapfer bin wie Du, aber wenn ich Dich dann schreien

höre, habe ich das Gefühl, ich spiele nur für "Dich" und nicht für "meine Mannschaft". Ich

bekomme auch immer einen ganz steifen Hals, weil ich immer auf die Tribüne gucken muss,

um Deinen Zeichen und Signalen zu folgen.

Papi, ich weiß auch, dass Prämien sehr wichtig sind, aber hast Du was dagegen, wenn ich

nicht mehr die 5 € für jedes Tor bekomme? Denn ich würde lieber dem kleinen Paul helfen,

sein erstes Tor zu schießen.

Ich weiß, es ist sehr wichtig für Dich, dass nur die Besten spielen und wir alle unsere Spiele

gewinnen, aber der Trainer lässt uns alle spielen, damit wir Spielpraxis sammeln können

und er sagt, wir sollen nach einer Niederlage unsere Köpfe nicht hängen lassen. Er meint, es

ist okay, ein Spiel zu verlieren, wenn wir „unser Bestes“ gegeben haben und als Mannschaft

gespielt haben. Ich weiß, Du meinst, der Trainer sollte gefeuert werden, weil er uns wie

Kinder behandelt und trainiert, aber wir Spieler mögen ihn, weil er uns einen Klaps auf die

Schulter gibt, und uns sagt, dass wir aus unseren Fehlern lernen.

Ich weiß nicht ob es stimmt, aber ein anderer Vater hat erzählt, der Trainer macht unser

Training auch nur ehrenamtlich.

Ich wünsche mir, dass Fußball nicht so wie eine Arbeit wird. Nachdem ich den ganzen Tag in

der Schule ruhig sitzen muss, möchte ich, dass Fußball mehr Spaß macht als Mathe oder

Deutsch, egal wie viele Millionen der David Beckham verdient hat, wie Du immer erzählst.

Ich kann mich aber auch noch genau an Deine letzten Worte nach dem Spiel gestern erinnern,

wie Du mich auf dem Weg nach Hause angebrüllt hast, weil ich "wie ein Kind" gespielt

habe.

Das stimmt, ich bin ein Kind!

Ich bin gerade erst 10 geworden...

 

Dein Sohn

 
   
 

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